Die SchülerInnen streiken fürs Klima. Danke!

Das Thema wäre in den Nachrichten nicht so präsent, würden die SchülerInnen dafür nicht die Schulzeit verwenden.

Es ist deshalb lächerlich zu sagen diese Demo gilt als Schwänzen. Es ist lächerlich, (fast nur) über das Schulschwänzen zu reden. Die Kinder sollten sich nicht mit dem Klimaschutz beschäftigen müssen. Wenn die Erwachsenen ihre Pflicht nicht tun, und die Kinder deshalb streiken, sollten die Erwachsenen sich zuerst bei den Kindern entschuldigen und dann sich selbst anschauen und etwas Gescheites tun. Die Kinder können nur um die Zukunft bitten. Die Erwachsenen haben die Macht, ihnen die Zukunft zu geben. Die Erwachsenen sollen die SchülerInnen ernst nehmen. Und antworten, wenn die Kinder fragen.

„Die Herausforderung bestand auch darin, dass Marthas Antwort auf Beckys Fragen ausnahmslos lautete: Frag Großvater, er sagt es dir. Großvater erklärt.“ Kinder, S. 13.

Über das Außenseitersein und Allerheiligen: Der perfekte Schweinsbraten

„Ich legte das Stück Schwein auf den Tisch. Von draußen drang schon zum zweiten Mal schrilles Kreischen herein. Ich ging zum Fenster und drückte die Nase ganz dicht an die Scheibe, aber da nichts Bedrohliches zu sehen war, lediglich die Hecke, die unseren Vorgarten von der Straße trennte, begann ich von vorn. Lieber Herr Fidler, wie Sie im Forum »Schweinsbraten« sehen können, halte ich eine Definition des perfekten Schweinsbratens für dringend erforderlich. Und dann, nach einer weitschweifigen Erklärung: fürs erste schlage ich die folgende vor. Ich hatte das Rezept viele Male durchgelesen. Gestern war ich damit im Supermarkt unterwegs gewesen und hatte alles gefunden außer Knollensellerie. Zum Rezept gehörte ein Foto, das ich als Vorlage an der Tür des Gewürzschranks befestigte. Der perfekte Schweinsbraten. Abbildungen dieser Art kannte man aus früheren Kinderbüchern, aus der Reklame und aus Speisekarten der Restaurants: auf einem Teller angerichtet ein bis zwei Semmelknödel oder Kartoffelknödel oder beides, eine Scheibe Braten, ein Löffel Soße, ein Klecks Sauerkraut. Das Rezept, das ich gewählt hatte, begann nett als Brief und war die Antwort auf die Frage, die ein Herr Fidler geschickt hatte: Sehr geehrter Herr Fidler. Sofern man anderthalb Kilo als zu viel empfand, sollte man laut Anweisung die ganze Sache am besten vergessen, sodass vor mir also ein Zwei-Kilo-Klumpen prangte mit reichlich Speck. In die Schwarte schneidet man Quadrate von 2 x 2cm Größe. Anschließend würfelt man 2 mittelgroße Zwiebeln, 1 mittelgroße Karotte und 100 g Knollensellerie. Ich nahm zwei leere Blatt Papier, auf das linke schrieb ich die Arbeiten, die zu erledigen waren, auf das rechte die eventuelle Einkaufsliste. Links zählte ich zusammen: Kochgeräte bereitlegen und Zutaten schneiden, Silber polieren, Tisch decken und Servietten falten, machte rund eine Stunde. Es war halb acht und noch viel zu erledigen. Im Rezept waren zudem gleichsam über Nacht neue Zutaten aufgetaucht. Wie etwa Maggikraut. Was um Himmels Willen war Maggikraut? Man schiebt den Braten mit der Speckschwarte nach unten in den Ofen und übergießt ihn mit einem halben Liter Hühnerbrühe. Inzwischen bereitet man die Soße zu. Laut Anweisung benötigte man für die Soße zerhackte Knochen. Zucker. Tomatenpüree. Entfernen Sie. Lassen Sie karamellisieren. Holzlöffel, Schaber. Nehmen Sie aus dem Ofen. Salzen Sie, pfeffern Sie, reiben Sie ein. Schieben Sie den Braten wieder in den Ofen. Häufig übergießen und den Bräunungsgrad der Schwarte beobachten. Den Ofen herunterschalten und den Braten garen lassen. Klappe einen Spalt geöffnet. Geben Sie inzwischen eine geschälte Knoblauchzehe in die Soße. Eine Prise Majoran und ein kleines Stückchen Zitronenschale. Lassen Sie die Soße durch Kochen eindicken und entfernen Sie vor dem Servieren Knoblauch und Zitronenschale. Ich blickte zum Fenster. In der Scheibe spiegelten sich meine Umrisse, sonst war nichts zu sehen, draußen herrschte dichter Nebel, wie so oft in Wien um diese Jahreszeit. Ich hatte keine Lust, einkaufen zu gehen. Vielleicht ließ sich ja der Sellerie beispielsweise durch Karotten ersetzen. Ich hatte insgesamt ein gutes Gefühl, und auch der Kaffee gluckerte zum Zeichen, dass er fertig war. Über den Gang zum Supermarkt würde ich später entscheiden, auf jeden Fall musste zunächst das Fleisch gewaschen und abgetrocknet werden. Nach getaner Arbeit setzte ich mich auf die Bank.

Es war lächerlich, dass für ein und dasselbe Gericht völlig entgegengesetzte Anleitungen existierten. Wenn es in der einen hieß, man solle den Braten häufig übergießen, damit er nur ja nicht austrocknete, wurde in der anderen das Übergießen ausdrücklich untersagt mit der Begründung, dass gerade dadurch die Kruste zäh und gummiartig würde. Im Obergeschoss hörte ich die Schritte des Österreichers, vom Schlafzimmer zur Toilette und anschließend ins Bad, wo sie verharrten, kurz darauf rauschte das Wasser. Ich blätterte lustlos durch den Stapel mit den Rezeptausdrucken. In den meisten hieß es, man solle »Schulter« kaufen, also war es wohl glaubhaft, und ich hatte mich daran gehalten. Auch hatte der Österreicher gestern richtig viel Gewese darum gemacht, und so hatte ich schließlich nachgegeben, obwohl ich der Schwiegermutter zum Feiertag Filet hätte anbieten mögen. Ich begann mich zu ärgern. Gerade das Rezept, das mir ursprünglich am besten gefallen hatte, hatte sich als das schlimmste von allen erwiesen. Der ultimative Schweinsbraten. 1,5 bis 2 kg Schweineschulter mit Schwarte. Ich strich das Blatt, das ich zerknüllt hatte, auf der Tischoberfläche glatt und band mein Haar zu festen Schwänzen, damit es mir nicht dauernd in die Augen fiel. Dann zog ich die Schürzenbänder fester. Was in aller Welt war Maggikraut? Ich konnte mich nicht erinnern, je diesem Wort begegnet zu sein. Maggisoße hingegen kannte ich mehr als gut. Und falls es nicht einmal die zu kaufen gäbe? Könnte man sie durch etwas anderes ersetzen? Durch Sojasoße? Die schüttete sich der Österreicher fast auf jedes Essen. Sojasoße passte eigentlich zu allem.

Frau Bergers Türklingel schrillte viele Male unter meinen Fingern, ehe ich drinnen Schritte und das Klimpern von Schlüsseln hörte, worauf sich die Schlösser eines nach dem anderen bewegten. Die Tür öffnete sich, und als erstes kam mir eine Wolke Zigarettenrauch entgegen, ich wich einen Schritt zurück. Als das Schlimmste vorbei war, reichte ich Frau Berger eine Tüte mit ihren Lieblingskäsecrackern.

»Kaffee?«

Ich nickte und wurde eingelassen. Ich folgte Frau Berger durch den L-förmigen dämmerigen, fast finsteren Flur in die Küche, die aus irgendeinem sonderbaren Grund ganz und gar rotgelb gestrichen war. Die Oberfläche des Spültisches blätterte von Woche zu Woche heftiger ab.

»Hier wird fleißig gewirtschaftet«, sagte ich.

Auf der Spüle türmte sich ein Kartoffelberg. Frau Berger, unsere Nachbarin, war eine kleine Frau, und während der Jahre, da ich sie kannte, war sie immer mehr zusammengeschrumpft. Ihre Nase und ihre Ohren hingegen wuchsen, und so ließ sich heute absolut nicht mehr sagen, ob sie in jungen Jahren schön gewesen war. Frau Berger antwortete mir nicht. Sie goss kalten Filterkaffee in einen kleinen Kessel, und mit dem dritten Streichholz gelang es ihr, den Herd anzuzünden. Ihre Bewegungen waren heute besonders fahrig, und ich sagte ihr, dass ich nicht sehr lange mit ihr Kaffee trinken könnte. Mutter und Schwester des Österreichers würden um ein Uhr zum Essen kommen. Maggikraut. 2 kg Schweineschulter mit Schwarte.

»So, so. Sie brauchen sich nicht dauernd zu entschuldigen. Ich werde es verkraften. Möchten Sie Kekse?«

Ich griff nach der Packung, die auf dem Tisch lag, und schüttete dunkelbraune Kekse auf einen Teller. Es folgte eine Weile Schweigen, und der Duft des warm werdenden Kaffees breitete sich in der Küche aus. Ich reckte mich, um aus dem oberen Teil des Holzschranks zwei Porzellantassen mit Untertellern zu nehmen. Die Türen waren aufgequollen, und man musste ziemlich kräftig ziehen, wenn man sie öffnen wollte. Der Schrank wackelte, das tat er immer, und noch bevor Frau Berger mich bat, vorsichtig zu sein, wusste ich, dass sie mich bitten würde, vorsichtig zu sein.

»Seien Sie vorsichtig, der Schrank wackelt«, sagte sie.

Zerhackte Knochen. Maggikraut. Ich erwähnte mein Rezept. Wir trugen alles, was wir brauchten, auf einem Tablett ins Wohnzimmer, und ich wartete auf irgendeine Fortsetzung, aber die kam nicht. Wir saßen gemeinsam an Frau Bergers Tisch, so wie schon unzählige Male zuvor. Mir gefielen ihre Porzellantassen außerordentlich, sie waren gelb, und eine von ihnen hatte einen Sprung. Frau Berger jedoch ordnete nur stumm ihre Spielkarten und ihre Kreuzworträtselhefte, obwohl es bereits nach acht Uhr war. Das Zimmer, in dem wir saßen, war voll mit irgendwelchen Dingen. Bilder, Vorhänge, Pillenschachteln auf einem Nebentisch, Videogeräte, und dazu Grünpflanzen, die vielleicht nicht viel jünger waren als ihre Besitzerin. Alles hatte seinen Platz, alles war aufgeräumt und geputzt, nur die Farbe an den Wänden und der Decke war vom Zigarettenrauch nachgedunkelt, wie in einem uralten Wiener Kaffeehaus. Es blieb mir ein ewiges Rätsel, ob das ein Zeichen für Echtheit oder einfach nur ekelig war. Mitten in all dem Kram saß Frau Berger wie auf einem Gemälde, und genau wie auf einem Gemälde schwieg sie. Warum war sie heute so still? Sonst redete sie doch ununterbrochen. Ich wartete eine Minute und noch eine zweite, aber als die Hausherrin ihrem Besuch immer noch keinerlei Aufmerksamkeit schenkte, beschloss ich, selber direkt zur Sache zu kommen.

»Schweinsbraten? Warum in aller Welt will jemand, der nicht hier geboren ist, unbedingt zum Feiertag Schweinsbraten machen?«, gab Frau Berger zur Antwort. »Warum quälen Sie sich? Lassen Sie es doch sein.«

Sie war aus ihrer Trance erwacht und sah mich mit erstaunt aufgerissenen Augen an. Sie hatte geglaubt, dass ich lieber ein finnisches Gericht zubereiten würde, und was wird in Finnland überhaupt gegessen? Ich lachte. Frau Berger scherzte bestimmt, auf Kosten von Ausländern ging das natürlich immer leicht. Sollte ich der Verwandtschaft, die nicht mal schwimmen konnte, etwa Heringsauflauf anbieten, fragte ich, und ob sie überhaupt ahnte, was Heringsauflauf war? Natürlich nicht. Als Einheimische musste sie doch wissen, dass am Feiertag für die Familienmitglieder des Österreichers nur ein einziges Gericht in Frage kam, dessen Name nicht extra erwähnt werden musste.“

Der perfekte Schweinsbraten,  Transit-Verlag 2013